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Angaben zur früheren Lehrveranstaltungen:

„Deregulierung“ und „Liberalisierung“ : Zwei aktuelle Schlagworte in historischer Perspektive“ (Epochenschwelle 18. / 19. Jahrhundert) SS 2003

Die Diskussionen um Deregulierung und Liberalisierung reichen bereits ins späte 18. Jahrhundert zurück. Auslöser waren die Physiokraten mit ihrer Kritik an den protektionistischen Steuerungsmechanismen und der Forderung nach Liberalisierung des Getreidehandels. In Krisenzeiten erhielt diese Kritik einen besonderen Stellenwert: Reformorientierte Regierungen standen vor der Alternative, weiterhin das Instrumentarium der traditionellen Teuerungspolitik anzuwenden oder Experimente mit dem Freihandel zu versuchen. Auch für die Ratsoligarchien der Schweizer Städteorte stellten die Hungerkrisen eine besondere Herausforderung dar, sie waren nicht nur mit erhöhten Reformansprüchen, sondern auch mit einer paternalistischen Erwartungshaltung der Konsumenten konfrontiert. Das Kolloquium soll durch Lektüre respektive Präsentation von Forschungsliteratur und Quellentexten einen Einblick in die zeitgenössischen Diskurse vermitteln und durch Einbezug der historischen Dimension zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen aktuellen Schlagworten anregen.

Als Einführungslektüre geeignet: Michael Huhn, Zwischen Teuerungspolitik und Freiheit des Getreidehandels: Staatliche und städtische Massnahmen in Hungerkrisen 1770-1847, in: Hans Jürgen Teuteberg (Hg.), Durchbruch zum modernen Massenkonsum. Lebensmittelmärkte und Lebensmittelqualität im Städtewachstum des Industriezeitalters, Münster 1987 (= Studien zur Geschichte des Alltags, Bd. 8), S. 37-89.

Politisierungsprozesse nach 1789: Befreiungsbewegungen vor der Helvetischen Revolution als Experimentierfelder der Demokratie WS 2003/04 SS 2004
Seminar: Teil I


Nach der Französischen Revolution setzten bei der breiten Bevölkerung Politisierungsprozesse ein, die für die Entwicklung direktdemokratischer Strukturen in der Schweiz von entscheidender Bedeutung waren. Bereits vor der Gründung der Helvetischen Republik hatten sich viele Gebiete selbst befreit, und es entstand eine Vielzahl von Staatswesen mit experimentellem Charakter. Im Seminar soll untersucht werden, welche Traditionsstränge, Ordnungsvorstellungen und Verfassungskonzepte bei der Neukonstituierung dieser Staaten von Bedeutung waren. Einerseits kam es zu einer Dynamisierung traditioneller politischer Organisationsformen wie Landsgemeinde und Republik, andrerseits wurde das revolutionäre Frankreich zum Referenzmodell und zur Projektionsfläche für politische Ambitionen.

Lektüreempfehlungen: Holger Böning, Der Traum von Freiheit und Gleichheit. Helvetische Revolution und Republik (1798-1803) - Die Schweiz auf dem Weg zur bürgerlichen Demokratie, Zürich 1998, S. 55-162; Barbara Weinmann, Eine andere Bürgergesellschaft. Klassischer Republikanismus und Kommunalismus im Kanton Zürich im späten 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen 2002 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 153), S. 75-142.

Winter-Semester 2004/2005 / Sommersemester 2005

Seminar: Kommunikationsfelder der Aufklärung: Sozietäten, informelle Zirkel und aufklärerische Aktivitäten in der Schweiz des 18. Jahrhunderts (Teil I/II)

Zielsetzungen: Durch die Diskurse um die Zivilgesellschaft ist die Soziabiliät der Aufklärer zu einem wichtigen Forschungsgegenstand geworden. Neuere Studien betonen denn auch die kulturelle Bedeutung der verschiedenen Assoziationen für die Herausbildung der Bürgergesellschaft. Durch das Netzwerk von Lesegesellschaften, Klubs und informellen Zirkeln entstanden soziale Räume, in denen demokratische Praktiken spielerisch eingeübt werden konnten. Dieses „moral improvement“ hatte eine doppelte Stossrichtung: Die Erziehungsbemühungen sollten sowohl Sozietätsmitglieder als auch breitere Be-völkerungsschichten einbeziehen. Trotz der propagierten sozialen und rechtlichen Offenheit und den durch formale Regeln festgelegten allgemeinen Zugangskriterien waren bestimmte gesellschaftliche Gruppen ausgegrenzt: Frauen, „Ungebildete“ und besonders die Unterschichten wurden lediglich als Objekte der Aufklärung betrachtet. Im Seminar wird versucht, am Beispiel der schweizerischen Sozietätslandschaft des 18. Jahrhunderts, den Grenzziehungen respektive Inklusions- und Exklusionsmechanismen nachzuspüren, die Kommunikationsdefizite offenzulegen und damit einen neuen Blick auf die Gesellschaft der Aufklärer zu gewinnen.

Einstiegsliteratur: Stefan-Ludwig Hoffmann, Geselligkeit und Demokratie. Vereine und zivile Gesellschaft im transnationalen Vergleich 1750-1914, Göttingen 2003 (Synthesen: Probleme europäischer Geschichte, 1), S. 7-34; Richard van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt a. M. 1996 (2); Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die Aufklärungssozietäten im 18. Jahrhundert (Hallesche Beiträge zur Aufklärung, 9), Tübingen 1999, S. 1-90.

Hinweise zu Forschungstrends und neuen Perspektiven: Franklin Kopitzsch, Aufklärungs-gesellschaften in neuen Perspektiven, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 5: Aufklärung in Europa, Weimar, Köln, Wien 1999,
S. 11-16.

Wintersemester 2005/2006

Proseminar:
Einführung in das Studium der Geschichte, Teil I

Zielsetzungen:

Neben der Einführung in Methoden und Arbeitstechniken der Geschichtswissenschaft bietet das Proseminar einen Einblick in die Sozialgeschichte der Familie. Im Zentrum stehen die Auswirkungen des ökonomischen und gesellschaftlichen Wandels im Übergang zur Moderne auf Normen, Leitbilder, materielle Grundlagen und persönliche Beziehungsmuster der Haushaltsfamilien. Zudem werden einzelne Haushalts- und Familientypen wie zum Beispiel die bäuerlichen Haushalte, die Kleinbürger- oder Arbeiterfamilie näher vorgestellt. Als Quellengrundlage dienen in erster Linie Selbstzeugnisse. Anhand dieses autobiographischen Materials soll zugleich eine Einführung in die Arbeit mit Quellen erfolgen.

Einstiegsliteratur:

Reinhard Sieder, Sozialgeschichte der Familie, Frankfurt a. M. 1987; Andreas Gestrich, Jens Uwe Krause, Michael Mitterauer, Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, S. 364-652.

Sommersemester 2006

Wege zur direkten Demokratie in der Schweiz: Verfassungsrevisionsbewegungen während der Regenerationszeit, Teil I

Zielsetzungen:

Die schweizerischen Volksbewegungen in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden unter dem Einfluss der liberalen Geschichtsschreibung lange als vorwiegend religiös geprägte, konservative Proteste gegen die an gesellschaftlichem Fortschritt orientierten Regenerationsregierungen gesehen. Erst jüngere Forschungen haben anhand einer Analyse der Postulate nachgewiesen, dass für die Protestträger vor allem direktdemokratische und materielle Anliegen im Zentrum standen. Dadurch konnte - in Distanzierung von einer einseitig modernisierungstheoretischen Optik - die Bedeutung der Protestbewegungen für die Herausbildung der direktdemokratischer Instrumente in den Kantonsverfassungen offen gelegt werden. Durch einen kulturhistorisch orientierten, mikrohistorischen Zugriff auf die kantonalen Bewegungen wird im Seminar versucht, die sozialen und politischen Kämpfe jener Zeit in den Kontext der Demokratieentwicklung in der Schweiz hineinzustellen. Ausgehend vom subjektiven Erfahrungszusammenhang der politischen Akteure soll gezeigt werden, wie an tradierte, vormoderne Politikformen angeknüpft wird, gleichzeitig jedoch Lernprozese stattfinden, die in erster Linie exogenen Einflüssen zu verdanken sind.

Einstiegsliteratur:

Martin Schaffner, Direkte Demokratie  "Alles für das Volk - alles durch das Volk", in: Manfred Hettling u. a. (Hg.), Eine kleine Geschichte der Schweiz. Der Bundesstaat und seine Traditionen, Frankfurt a. M. 1998 (Edition Suhrkamp, 2079), S. 189-226; Rolf Graber, Zur Bedeutung der Revolutionen von 1798 (Helvetische Revolution) und 1847/1848 (Bundesstaatsgründung) für die Ausgestaltung des politischen Systems der modernen Schweiz, in: Heiner Timmermann (Hg.), 1848 - Revolution in Europa. Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen, Berlin 1999 (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen, Bd. 87), S. 391-414.